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.Nun schon seit über einem Jahr.Als es am Ende der Straße und in den Lücken zwischen den Häusern zu dämmern begann, waren Maries Hände und Füße gefühllos.Sie zwang sich, sie zu bewegen.Erst ganz langsam – es tat schrecklich weh –, dann immer schneller, zum Schluss geradezu krampfartig.Das Blut ergoss sich wie warme Suppe in ihre Extremitäten.Angenehm war dieses Gefühl nicht, aber es gab Marie wieder die Herrschaft über ihren Körper zurück.Sie drehte das Autoradio an und hörte die Nachrichten.Erst um fünf, dann um sechs Uhr.In dieser Stunde änderte sich nichts.Die Meldungen blieben gleich.Nichts, worüber sich nachzudenken gelohnt hätte.Aber Marie hatte schon lange das Interesse für das Weltgeschehen verloren.Eigentlich schon vor einem Jahr.Um sieben Uhr konnte sie die Nachrichten nicht mehr hören, sie suchte klassische Musik.Diese Suche auf der Senderskala machte sie unachtsam.Sie verlor die Umgebung aus dem Blick.Deshalb bemerkte sie nicht, dass sich jemand ihrem Wagen näherte.Er kam von hinten.Marie sah ihn erst, als er sich bückte und in das Seitenfenster blickte.Sie erschrak, als der Kopf des Mannes so dicht neben ihr erschien.Ihr Herzschlag beschleunigte sich rasend schnell.Marie betätigte den Fensteröffner.»Ist was?«Der Alte schüttelte den Kopf.»Nö.Wollte nur nachschauen, ob alles in Ordnung ist.«»Ja.Alles in Ordnung.«Jetzt erst entdeckte Marie den Dackel, der die Nase zu ihr hochstreckte.Er sah genau aus wie Ludwig, einer von Roberts Hunden.Marie betätigte den Fensterheber – das fehlte noch, dass sie sich von einem Nachbarn, der frühmorgens seinen Hund ausführte, ablenken ließ.Der Alte schaute etwas vergrätzt, ging dann aber zur Freude seines Dackels weiter.In der Wohnung brannte ein Licht.Wahrscheinlich wurde in der Küche Frühstück gemacht.Marie überlegte, ob sie es wagen könnte, den Motor zu starten.Mit der Autoheizung würde es im Auto etwas wärmer werden.Aber sie wollte nicht noch einen weiteren Anwohner anlocken.Womöglich fühlte sich ein Umweltschützer aufgerufen, gegen den laufenden Motor bei einem parkenden Wagen zu protestieren.Dann würde der Freund aufmerksam werden – und alles war verdorben.Marie begann, ihre Bein- und Armmuskeln abwechselnd anzuspannen und zu entspannen.Aber das vertrieb die Kälte auch nicht aus ihrem Körper.Hoffentlich bescherte ihr die durchwachte Nacht im Auto keinen Rückfall.Eine zweite Lungenentzündung konnte sie jetzt nicht brauchen – nun, da sie Johann gefunden hatte.Kurz vor acht.Es tat sich was.Erst rollte der Golf rückwärts aus der Einfahrt.Der Freund saß am Steuer.Als er auf der Straße war, bremste er ab und gab im Leerlauf kräftig Gas.Seine Heizung lief jetzt an und spendete ihm Wärme.Offensichtlich wartete er auf jemanden.Ob die Frau mit ihm zur Arbeit fuhr? Dann war der Junge allein zu Hause.Maries Herz schlug bis zum Hals.Sie könnte zu dem Haus hingehen und an der Tür läuten.An der Tür läuten und warten, bis der Junge ihr öffnete.Marie kamen die Tränen.Ein Bild erhob sich übermächtig vor ihren Augen.Kein Bild.Eine ganze Oper.Sie stand an der Tür des Hauses und drückte auf den Klingelknopf.Immer wieder.Jemand kam.Erst lauerte er, dann öffnete er die Tür.Sie sahen sich an.Sekundenlang.Dann fielen sie sich in die Arme.Sie umarmten sich.Sie waren wieder vereint.Marie und ihr entführter Sohn.Marie und Johann.Marie weinte jetzt richtig.Die Tränen waren nicht zu stoppen.Deshalb sah sie auch wie durch einen Vorhang hindurch, dass der Freund sich über den Beifahrersitz beugte und die Tür aufstieß.Dann kam der Junge aus der Einfahrt gerannt.Den Ranzen auf dem Rücken.Er brauchte nur eine Sekunde.Dann war er durch die offene Beifahrerführ in den Wagen geschlüpft.Zu dem Freund.Allein.Ohne dass ihn jemand dazu zwang.War das wirklich Johann?Robert machte ein Riesentheater.Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan.Angeblich.Dabei schlief er wie ein Stein.Selbst in der Zeit, als sie um Johanns Leben gebangt hatten, hatte er geschlafen.Robert bestand darauf zu erfahren, wo Marie die ganze Nacht gewesen war.»Bei einer Freundin«, antwortete Marie kühl.»Du hast überhaupt keine Freundin.«»Du kennst sie nur nicht.«Es klang wie früher.Wie ein Ehepaar, das sich wegen Kleinigkeiten kabbelte.»So geht das nicht«, brüllte Robert.»Noch sind wir verheiratet.Ich will sofort wissen, mit wem du die Nacht verbracht hast.«Wenn du wüsstest, dachte Marie.In diesem Moment war klar, dass sie Robert kein Wort sagen würde.Sie würde alles für sich behalten.Er würde nicht wieder alles verderben.Sie fragte sich zum ersten Mal, warum sie überhaupt noch mit ihm zusammen in diesem Haus wohnte.Warum zog er nicht aus? Schließlich war es ihr Elternhaus und nicht seines.»Hast du mit irgendjemandem rumgefickt?«Gut, dachte Marie, du hast es nicht anders verdient.»Ja«, sagte sie und schaute weg.Robert bebte.»Mit wem?«»Mit einem Mann.Es geht dich nichts an.«Für einen Moment dachte Marie, er würde sie schlagen.Es hätte ihr nichts ausgemacht.Es hätte sie nur noch bestätigt.Doch er rannte nur aus dem Zimmer.Marie atmete auf.Sie kochte sich einen heißen Tee und ging ins Bett.Sie musste ein wenig schlafen.Hoffentlich gelang es ihr
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