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.Nichts gespürt.»Es stammt aus Salice in Oberitalien.« Die Tochter hatte über die polierte Oberfläche gestrichen.»Alles Handarbeit.Die Resonanzböden sind aus Südtiroler Fichtenholz! Schon Stradivari hat aus derselben Gegend sein Material bezogen.« Miriam hatte sie geradezu angefleht zu verstehen: »Mama, du hast damals monatelang nach so einem Flügel gesucht! Ich habe ihn all die Jahre gepflegt, stimmen lassen, ihn beim Umzug hierher mitgebracht.Es gibt kein klanggewaltigeres Instrument.Keines mit präziserer Mechanik.Das bist du! Dieser Flügel war … er ist dein Leben!«»Ich kenne ihn nicht.« Thea hatte nicht gewusst, ob sie sich selbst oder Miriam mehr bedauern sollte.Tragik, ja, das hatte die Situation beschrieben.Sie spielte unbeholfen und mit einem Finger Nun aufwärts froh den Blick gewandt.Ein anderes Lied konnte sie nicht.Aber in der Kirche, in die sie Miriam jeden Sonntag begleitete, sangen sie es oft, und Pfarrer Müller sah immer zu ihnen herüber, als habe er es nur für sie ausgesucht.Thea mochte das Lied.Es machte ihr Mut, und auch Müller schenkte ihr Vertrauen in die Zukunft.War sie eigentlich jemals gläubig gewesen?Miriam sagte, sie sei gleichgültig geworden gegenüber der Musik, und Thea ahnte, wie weh ihr das tun musste.Doch wie sollte sie eine Kunst beherrschen, die im Drehbuch ihres neuen Lebens fehlte? Sie blätterte in einem Notenbuch.Schwarze Linien, Punkte, Bögen, ein paar winzige Zahlen.Ein Durcheinander von Zeichen auf weißem Papier.Es sagte ihr nichts.Vor ein paar Tagen hatte Miriam ihr wieder die Fotoalben gezeigt.Bilder ihres »Davor«.Villa.Pool.Riesiger Garten mit vielen Blumen, Teich mit Entenpaar.Thea am Klavier, mit dunklem Haar.Der Ehemann mit dem freundlichen Lachen und den lustigen, verzwirbelten Augenbrauen.Miriams Vater.»Wo ist er jetzt?«, hatte Thea Roth Miriam gefragt.»Papa ist tot«, hatte sie tonlos geantwortet.»Du hast seine Augen.« »Ja.« Miriam hatte weitergeblättert.»Woran ist er gestorben? Und wann?« – »Vor einundzwanzig Jahren.An Herzlosigkeit.Wir haben ihn begraben«, hatte Miriams Antwort gelautet, und Thea hatte nicht weiter gefragt.Von der Kraft der Musik hatte Miriam dann gesprochen.Thea hatte es nicht hören wollen.Nichts von Erfüllung.Nichts von Hass.Sie hatte geglaubt, sich die Ohren zuhalten zu müssen wie in ihrem Alptraum.Plötzlich war sie sich sicher gewesen, all das nicht zu meistern, weder die Gegenwart zu ertragen noch die Zukunft und erst recht nicht die Vergangenheit, die sich ihr da plötzlich zeigte.Ich schaffe es nicht!Sie war aufgestanden.Überwältigt von der Sehnsucht, einfach auszubrechen.Aus der Beengtheit der Wohnung, dem fremden Leben, der eigenen Seele.Sie hätte schreien mögen.Nach Glück.Nach Frieden.Nach dem Ende ihrer Einsamkeit.Doch sie hatte Miriam nur angesehen und sie gebeten, sie nicht wie eine Geistesgestörte zu behandeln.Natürlich hatte sie Miriam damit verletzt.Die gab sich so unendlich Mühe.Und Thea liebte Miriam, so gut sie es eben konnte.Dennoch … Manchmal war diese junge Frau ein Rätsel.Ihre tiefe Religiosität.Ihre Versunkenheit in geistliche Musik, in der sie manchmal kaum noch ansprechbar war.Ihr Blick, der oft nach innen gewandt schien.Und dann diese Parallelität von Empathie und einer Gleichgültigkeit, die Thea manchmal mit Angst erfüllte.Es war fast so, als ginge ein tiefer Riss durch das junge Leben, dessen Geschichte ihr nicht zu sehen vergönnt war.Amnesie! Thea blickte aus dem Fenster, wo sich ihr Spiegelbild von den leuchtend grünen Linden und dem frischen Weiß der gegenüberliegenden Villa abhob.Sie legte die Hand gegen die Scheibe, tastete nach der Illusion ihres Gesichts.War dieses Urteil Gnade oder Bürde?Da hatte sie nun ein Kind, über das sie nichts wusste.Lebte mit einer Frau zusammen, über die sie nur spekulieren konnte.Sie ahnte, dass Miriam vom Vater Gewalt angetan worden war, zumindest ihrer Seele.Dass ihre Hinwendung zu Gott eine frühe Zuflucht gewesen war.»Er war schlecht zu uns«, hatte Miriam einmal gesagt.»Was hat er getan?« – »Unsere Zukunft zerstört.« Doch konnte Thea das alles glauben? Trug nicht sie selbst auch Schuld an der heutigen Situation? An Miriams Leid? Und sie konnte ihr nichts zurückgeben.Keine Geschichten von früher erzählen.Die Tage im Kindergarten lebendig werden lassen.Sich noch heute über Miriams Strahlen beim Blick in die prall gefüllte Schultüte freuen.Wehmütig lächeln bei der Erinnerung an den ersten Liebeskummer des Teenagers und dessen Befürchtung, die Welt gehe für immer unter.Nichts davon konnte Thea geben.Einzig danken konnte sie Miriam und versuchen, sie zu lieben wie eine Tochter, mit der man seit über dreißig Jahren eng vertraut war.Von der man alles wusste.Sie musste Miriam einfach glauben.Auch dass die Polizei nur aus Routine mit ihr gesprochen hatte.Es gab keinen andern Weg als Vertrauen.Auch wenn Miriam auf ihre Nachfrage in den letzten Tagen still geblieben war, sich verschloss und in Gebete stürzte.Thea hatte sich schon Hunderte Male gefragt, was dahintersteckte.Eine Antwort hatte sie nicht gefunden.Allenfalls Ahnungen: Erinnerungen an den Vater.Flucht aus dem mühsamen Leben als Putzfrau, das sie manchmal um fünf Uhr früh in fremden Treppenhäusern begann und nachts um eins gebückt in einem Waschsalon oder einer Nudelfabrik beendete.Sorge um sie, Thea.Seit sie zu zweit hier lebten, rackerte Miriam sich in mehr als zwanzig Objekten ab, in manchen täglich.Sie erzählte, wie sie in dem Fitnessstudio die Chromarmaturen zum Glänzen brachte, indem sie säurehaltige Reiniger nur in kaltes Wasser gab; wie Ruß, Fett und Teer mit alkalischen Seifen vom Boden des Supermarktes verschwanden; dass der wertvolle Holzschrank eines Nachbarn so herrlich duftete, weil sie ihn mit warmem Wasser und Orangenreiniger sanft behandelte; und dass sie sich vollkommen erholte, wenn sie in den wenigen freien Stunden Klavier spielte und betete.Doch Thea wusste, dass die Putzjobs eine fast übermenschliche Belastung waren und Miriams Berichte das Schönreden einer Situation, die sie nicht mehr lange würde ertragen können.Und jetzt hatte Thea ihrer Tochter mit dem Vorwurf, sie sollte nicht so tun, als sei sie geistesgestört, noch weh getan.Miriam hatte seither kein einziges Mal mehr gelacht.Sie löste die Hand von der Scheibe.Ich sollte versuchen, auch Miriam ins wirkliche Leben zurückzuholen, dachte Thea Roth [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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