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.Kein Wunder, daß er Anja in keinem Telefonbuch hatte finden können…Er lief auf die Straße hinunter, setzte sich ans Ufer des Flusses, brauchte Zeit und nochmals Zeit, seine Gedanken wieder zu ordnen.Anja tot, auch hier kein neuer Anfang möglich.Er weinte um sie; oder doch einzig um sich, um ein verlorenes Leben? Sah sie auf dem Bildschirm singen, spielen, tanzen; hatte sie ja letztens nur noch elektronisch-synthetisch erlebt.Doch er brauchte nur die Augen zu schließen, schon spürte er sie wieder körperwarm, fuhr mit seinen Fingerkuppen ihren Nacken hoch, küßte ihren kupferbraunen Hals, schmeckte Sandelholz und Zimt.Anja.Abhaken.Und Mugalle als Jossa auf der Flucht.Viele Wochen waren ja vergangen, wo mochte er geblieben sein? Welch Ironie, welch Pech, daß Anja – warum nur? – doch noch mal nach Bramme hochgekommen war.Hellwach, wie immer, mußte sie ihn alsbald durchschaut und dann irgendwie in Panik versetzt haben.Jedenfalls: Sie zerschmettert unten auf der Straße, er verwirrt im Apartment oben.Und alles konnte er, Mugalle, von jetzt ab noch sein, nur Jossa nicht, denn der wurde ja nun mit Sicherheit wegen Totschlag, wegen Mordes gesucht.Also fliehen, untertauchen, einen dritten Namen suchen.Nicht undenkbar, daß er nun nach Bramme kam, um wieder Mugalle zu werden, denn der war ja nun ein freier Mann und stand nicht unter Mordverdacht.Jossa stand wieder auf und schlenderte zur Altstadt hinauf.So unsinnig waren seine Ängste also gar nicht gewesen…Was würde denn passieren, fragte er sich, als er erneut in der Fährgasse war, wenn ich nun zur Kripo ginge und zu Catzoa sagte: «Hallo, hier bin ich: Jens-Otto Jossa, Anjas Mörder, und nun verhaftet mich mal!»Nein, um Gottes willen nicht! Dann war er zwar womöglich wieder akzeptiert als Jossa, hatte dafür aber ein übles Verfahren am Hals, und neue Leidensjahre in der Brammer Haftanstalt erwarteten ihn.Er schlug sich mit den Fäusten gegen beide Schläfen, bis die Leute stehenblieben, wollte alles Weiterdenken unterbinden: «Aufhören!» Fing sich aber wieder, indem er, wie in der Klinik gelernt, die formelhaften Wendungen des Autogenen Trainings vor sich hinsprach: «Ich bin ruhig, sicher, fest und frei! Ich bin ruhig, sicher, fest und frei!» Zeit gewinnen, in Ruhe über alles nachdenken, eine Auszeit nehmen, sich zur Hängepartie vertagen und alle Möglichkeiten, alle möglichen Züge noch einmal sorgfältig durchspielen, die einzelnen Wahrscheinlichkeiten kühl gegeneinander abwägen.Sich bis dahin nur noch treiben lassen.Jossa kam zur Kirchgasse und fand an ihrem Ende den Eingang zum Alten oder Matthäi-Friedhof, vom Wasserturm, denkmalsgeschützt inzwischen, weithin kenntlich gemacht.Da oben hatte vor Jahren einmal, kam ihm wieder in den Sinn, der Brammer Robin Hood gestanden, der junge Benno Drobsch, und den anrückenden Polizisten und andern Terroristenjägern gedroht, sich in den Tod zu stürzen.Selbstmord…Friedhof…Ohne daß er es recht eigentlich wollte, zog es ihn in die kopfsteingepflasterte Gasse hinein, lief er an der Matthäi-Kirche vorbei auf das Tor am Friedhofseingang zu, las die neue Inschrift, Künstlernothilfe wohl, golden, in geschmiedetes Eisen geflochten: Hier ist Ruhe.Gönnet sie den Müden.Das sprach ihn an, er ging hinein.Wieder Journalist geworden, formulierte er sogleich für sich: Jossas Ende – Auf dem Brammer Friedhof Selbstmord begangen.Die Odyssee des Mannes, der Mugalle sein mußte, hat heute nachmittag in Bramme ihr tragisches Ende gefunden.Mann, hör auf!Er hatte Mühe, die Stimmen, die in ihm waren, wieder auszuschalten.Da gehst du nun dahin, Jens-Otto Jossa, wie zu deiner eigenen Beerdigung…«Schluß jetzt!» schrie er, und die alten Damen, die die Gräber ihrer Lieben pflegten, fuhren, im Dialog mit ihnen gestört, heftigwütend herum, tippten sich, zumindest in Gedanken, mit dem Finger an die Stirn.Er wollte neben Eva in der Erde liegen, in Bremen, auf dem Osterholzer Friedhof dort, und er setzte sich auf die nächstbeste freie Bank, um das in seinem Abschiedsbrief ganz dick zu unterstreichen.Die Batterie ist leer, begann er, ich habe nicht die Kraft, das alles durchzustehen, wieder der zu werden, der ich bin: Jossa eben.Nicht ich bin der Irre, schrieb er weiter, benutzte einen Rand des Brammer Tageblatts als Bogen, die Welt ist irre, die die Menschen aus ihren Lebensbahnen schleudert und sie als Trümmer im toten Weltraum treiben läßt.Alle sind wie Schizophrene, unglücklich in und mit uns, aber noch unglücklicher, wenn wir uns verlassen müssen, freischwebend dahinvegetieren, unfähig dazu, in anderen Schneckenhäusern ein neues Leben zu beginnen und dem Verfalle preisgegeben, wenn es uns verwehrt ist, in die eigene, mal verlassene Hülle später wieder zurückzuschlüpfen, in ihr von neuem zu wohnen.Mein Schneckenhaus, meine Hülle ist verschwunden, ich sitze nackt und schutzlos hier, kann nicht Mugalle, darf nicht Jossa sein, bin damit ein Nichts, schlimmer dran als Kasper Hauser.Jossa hielt inne, dachte daran, was sein Redakteur wohl sagen würde, bekäme er diese Zeilen zu sehen.«Wir sollten unseren Lesern eher was geben, woran sie sich aufrichten können…»Immer wieder müssen sie bellen, diese impotenten Intellellen!Originalton Anja, wenn er ihr damals in Hannover seine Klagelieder vorgetragen, seine Kritiker verflucht hatte.Er sah zum Kirchturm hinauf, das Kreuz in der langsam sinkenden Sonne im warmen Goldton blinken und hoffte, daß sie vielleicht doch noch recht hatten mit ihrem Christenglauben, daß es ihre Auferstehung irgendwie gab, er Eva, in welcher Form auch immer, wiedertraf, wenn er sich jetzt, er sah sich schon hinaufklettern, vom Wasserturm, der Brüstung oben in die Tiefe stürzte.Alles hat sich gegen mich verschworen, schrieb er weiter, was soll ich da noch machen?Schrieb es und sah auf, weil seine Augen böse brannten, wollte, um dem abzuhelfen, einen Punkt in der Ferne fixieren, den Fernsehsender auf dem Reiherberg vielleicht.Da fiel sein Blick auf eins der reichlich ungepflegten Gräber am runden Wasserbecken drüben, auf einen kleinen schwarzen Stein und fünf handtellergroße, mit reichlich Gold gefüllte Lettern:J O S S AEr ließ seinen Abschiedsbrief fallen, stürzte hin, stand stumm und staunend da, begriff alles und nichts
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