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.Jemand wird davon angerührt, beeindruckt, inspiriert sein.Schreien Sie heraus, wer Sie sein wollten, wer Sie glauben zu sein, bewegen Sie sich in dieser Welt wie ein Elefant im Porzellanladen.Einen Tag nach seinem Tod hat Christoph Schlingensief auf Facebook meine Freundschaftsanfrage angenommen.Auch der Facebook-Account des von mir heimlich verehrten Filmkritikers Michael Althen ist noch aktiv.Sein letzter Eintrag stammt vom 25.Mai 2011 um 17:48 Uhr: »Michael Althen hat angegeben, dass Artur Linus sein Sohn ist.« Und darunter: »Moritz von Uslar und 5 anderen gefällt das.« Da war Althen schon knapp zwei Wochen tot.Welche Spuren hinterlassen wir in der Welt? Wer lebt uns fort? Wer beendet unsere Aufgabe? Wer blättert morgen in unserer Münzsammlung oder wirft sie weg? Was werden unsere Nachbarn, Kollegen, Verwandten über uns sagen, wenn wir tot sind? Was werden die Nachlebenden von uns finden? Kann uns das egal sein, sollte uns das nicht sogar egal sein? Oder sollten wir vielmehr wollen, dass es möglichst viele Spuren von uns gibt?Vor zwei Jahren habe ich die Tagebücher meiner Kindheit gelesen und verbrannt.Ich will nicht etwa Spuren vernichten, ich will sie vielmehr verdichten, will noch zu Lebzeiten aufräumen.Das ist nur begrenzt möglich, denn meine Briefe und E-Mails sind in alle Welt verstreut, überall laufen Menschen herum, die mich kannten oder zumindest glauben, mich gekannt zu haben.Manche waren sogar mit mir verheiratet.In einer Sammlung, die ich »Erzähl mir was von mir« nenne, befrage ich seit mehr als zehn Jahren Menschen, die mir in meinem Leben begegnet sind.Ihre Aussagen sind widersprüchlich und oft nicht sehr schmeichelhaft: freiheitsliebend, nur die eigene Karriere im Kopf, exhibitionistisch, geltungssüchtig, extrem anstrengend, humorlos, leicht auf die Palme zu bringen, theatralisch, gemein und eiskalt, chaotisch, impulsiv, egoistisch, provozierend, selbstherrlich.Ist das wirklich wahr? Bin die, die diese Menschen beschreiben, wirklich ich? Oder geht es mir wie Ödön von Horváth: »Eigentlich bin ich ganz anders, ich komm nur so selten dazu«?Ich sehe mein Leben als unaufhörlichen Selbstversuch.Ich bin gleichzeitig das Versuchskaninchen und die Leiterin des Experiments.Aber bin ich so, wie ich glaube zu sein, oder bin ich so, wie die anderen sich an mich erinnern? Was wird bleiben, wenn ich einmal tot bin? Eine Tochter, ein Stapel selbst geschriebener Bücher und höchstens zehn Umzugskisten.Der Dokumentarfilmer Eberhard Fechner macht 1970 den Film »Nachrede auf Klara Heydebreck«.Seine Idee ist, einen beliebigen Menschen herauszupicken, um an seinem Leben exemplarisch zu zeigen, welche Spuren ein Mensch hinterlässt.Der Film beginnt auf einer Feuerwache in Berlin, im Winter 1969.In der Bundesrepublik gibt es damals 13 000 Suizide im Jahr, Fechner entscheidet sich für Klara Heydebreck, wohnhaft in Berlin-Wedding, Grüntaler Straße 59a, kleiner Aufgang.Über 50 Jahre hat Klara Heydebreck in diesem Haus gelebt.Kann man aus vagen Informationen das Bild eines Menschen erstellen, wenigstens schemenhaft? Kann man etwas über seine Sehnsucht herausfinden? Kann man ihm gerecht werden? Warum wollte Klara Heydebreck sterben?Fechner trägt Fakten zusammen, sichtet Fotos, Urkunden, Schriftstücke, sucht und findet Wegbegleiter.Klara, jüngstes von sieben Geschwistern, ein ernstes Mädchen mit einem entschlossenen Mund, war schon als Kind ein Sonderling gewesen, »anders wie wir«, sagt die einzige überlebende Schwester.Klara war eine gute Schülerin, fleißig, mit überdurchschnittlichen Leistungen, immer für sich.Später arbeitete sie als kaufmännische Angestellte, als Werkstattschreiberin, Lohnbuchhalterin, stets arm, stets am Existenzminimum.Als die Geschwister aus dem Haus waren, hauste sie mit ihrer alten Mutter in jenem Mietshaus im Wedding, in dem sie sich 50 Jahre später das Leben nehmen sollte.Das Fräulein Heydebreck, wie sie die Nachbarn nannten, hatte nach dem Tod der Mutter allein gelebt.Sie sang als zweiter Alt im Berliner Volkschor – und fand dort ihre einzige Freundin, mit der sie zehn Jahre lang gemeinsam sang und musizierte, bis sie sie aus den Augen verlor.Sie brachte sich selbst das Gitarrespielen bei, sie hatte Freude daran, ihre Neffen und Nichten zu beschenken.Gereist ist Klara nur viermal im Leben: mit dem Volkschor nach Wien und in den Spreewald und allein in die Ferien, einmal eine Woche Harz, einmal zwei Wochen Alpen.Von der Spreewaldfahrt fand sich ein Foto in Klara Heydebrecks Nachlass.Sie sitzt lächelnd zwischen anderen Frauen in einem Boot.Sie trägt ein Kapotthütchen, Lippenstift und ein dunkles Kleid mit weißem Kragen.Sie ist die Hübscheste von allen, aber niemand wird ihre Gesichtszüge erben, sie wird keine genetischen Spuren hinterlassen, und es ist, als ahnte sie es schon.Während der Inflation hat sie monatlich nicht 400 Mark, sondern Billionen verdient.Im Zweiten Weltkrieg hat sie erstmals im Leben etwas zurückgelegt.Die 700 Reichsmark auf ihrem Sparbuch werden nach dem Krieg auf 11 Mark entwertet.Sie findet jetzt nur noch Jobs als Fabrikarbeiterin und Körbeflechterin.Sie arbeitet sorgfältig, aber zu langsam, niemand behält sie lange.Der Neffe, der sie »Tante Kläre« nennt, hat sie nie »mit eenem Herrn« gesehen.Es gab aber einen Mann in ihrem Leben, von dem der Neffe nichts wusste, eine Schwärmerei.Ein hübscher Mann, von dem sie einige Fotos aufbewahrte, die eher wie Autogrammkarten aussehen: Franz Schittel, Universalartist.Man blieb beim Sie, schrieb sich Briefe, er ihr Gedichte – alles platonisch.Klara Heydebreck lernte Esperanto, Spanisch, Italienisch, Englisch, Französisch.Sie ging gern ins Theater und in Ausstellungen, aber niemand wollte mitgehen.Als sie Rentnerin wurde, blieb ihr mehr Geld zur Verfügung als zeitlebens zuvor.Sie spendete an Hilfsorganisationen und an die Fernsehlotterie.»Aber nach und nach wurde sie bösartig«, sagt der Neffe.Klara Heydebreck verbrachte ihre letzten Lebensjahre in völliger Vereinsamung.Von den Nachbarn hört man Zitate wie »hat keinen Kontakt zur Umwelt mehr gefunden«, »ein übriggebliebenes Fräulein«, »ein eigentümlicher Mensch«, »menschenscheu«, »immer auf Distanz«, »vollkommen verkapselt«, »Jungfernschrullen«.Am 10.März 1969, mittags, nimmt sie Schlaftabletten und wird um 19 Uhr von der Feuerwehr gefunden, angekleidet auf dem Sessel sitzend, kaum mehr atmend.Sie stirbt auf dem Weg zum Krankenhaus.In ihrem Abschiedsbrief an den Neffen bittet sie um Verzeihung, weil sie so viele Umstände macht.In ihrem Nachlass findet sich ein nicht abgeschickter Brief an die Schwester.Sie schreibt, dass sie immer müde sei, mit einem gehörigen Schuss Lebensüberdruss.Sie lobt und empfiehlt die Volkshochschule: »Die Menschen dort haben Ideale, sie streben einem Ziel entgegen, das ihrem Leben Inhalt gibt.« Von der Herzenssehnsucht, Wissen zu erreichen, schreibt Klara Heydebreck, vom Versuch, dem Leben etwas abzutrotzen, seinen Verstandesapparat nicht verkümmern zu lassen.Fechners Kamera bleibt in Heydebrecks verwaister Wohnung.Der Strom wird noch mal abgelesen.Der neue Mieter klopft an und will die Wände vermessen.In vier Wochen, wenn er einzieht, ist alles, was an Klara Heydebreck erinnert, weggeräumt.Aber sie hat nicht umsonst gelebt.Sie lebt weiter in Fechners mehrfach ausgezeichnetem Film.Sie lebt weiter in ihrer schrammeligen Gitarre, die bei irgendeinem Trödler gelandet ist.Sie lebt weiter in meinem Kopf.Und nun auch in Ihrem.23.Würdelos altern»Sag mal, schämst du dich nicht, in deinem Alter?«»Wolke Neun«Als ich klein war, war Altsein eine Skurrilität für mich, vor allem, wenn meine Oma die Zähne aus dem Glas nahm, fürs Familienfoto.Alte Leute waren immer alt, und junge blieben immer jung.Aus dem Rotkäppchen wird nie eine Großmutter, niemals! Alt sind immer nur die anderen
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