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.Er hatte fast hundert Stufen gezählt, als er schließlich ihr Ende erreichte, und dort drehte er den Docht höher.Das Licht wurde heller und drängte die Dunkelheit um ihn herum etwas weiter zurück.Die lange Treppe endete an einer mehrere Meter breiten Nische in der Wand eines Tunnels, der sich nach rechts erstreckte – Schienen verschwanden dort in der Finsternis.Links stand eine Draisine auf den Gleisen, und hinter ihr endete der Tunnel an einer Betonwand.Benjamin leuchtete unschlüssig mit der Lampe.Was mache ich hier?, dachte er.Er hatte das Labyrinth sehen wollen, bevor Hannibal den Zugang vermauern ließ, und jetzt sah er es, zumindest den Anfang, doch das war nicht genug.Vorsichtig, Ben, flüsterten seine Gedanken, als er die Lampe höher hielt, erst die Draisine betrachtete und dann nach rechts sah, in die Dunkelheit, die dort auf ihn wartete.Bestimmt nennt man dies nicht ohne Grund Labyrinth.Du könntest dich verirren.Seine Beine trafen die Entscheidung.Er war bereits einige Meter weit durch den Tunnel gegangen, während er noch überlegte, ob er die Draisine nehmen sollte.Vielleicht ein Weg aus der Stadt, wisperte eine Erinnerung in ihm.Erklärte das Petrows Verschwinden? War er ins Labyrinth zurückgekehrt, um die Stadt zu verlassen?Eine sonderbare Aufregung verband sich mit dieser Vorstellung, und Benjamin ging schneller, ohne sich dessen bewusst zu sein.Hinter ihm verschlang die Finsternis die Nische mit der Treppe.Das Licht der Lampe hielt die Dunkelheit auf Distanz und tanzte über die Betonwände, an denen sich gelegentlich Schmierereien zeigten, Fragmente von Graffiti.Nach etwa hundert Metern fiel Benjamin im Schotter zwischen den Schwellen etwas auf.Er bückte sich, leuchtete mit der Lampe und fand eine Armbanduhr, das lederne Band brüchig, das Glas gesprungen.Benjamin nahm sie und hielt sie ins Licht.Die Zeiger fehlten.Sie waren nicht abgebrochen, denn als er die Uhr bewegte, rutschte unter dem Glas nichts hin und her.Sie fehlten einfach, als hätte jemand die Uhr geöffnet und die Zeiger entfernt.Nachdenklich steckte er die Armbanduhr ein und ging weiter.Nach noch einmal fünfzig Metern verbreiterte sich der Tunnel, und aus einem Gleis wurden zwei.Das erste, offenbar der Hauptstrang, führte an einem Bahnsteig vorbei, und das zweite, auf der linken Seite, war ein Abstellgleis.Dort stand ein Waggon.Benjamin näherte sich und hielt die Lampe noch etwas höher.Die Fenster des Waggons waren von innen zugeklebt; die Außenflächen schienen einst bunt bemalt gewesen zu sein.Viel war von den Bildern nicht übrig: Rost hatte das Metall darunter zerfressen, den Lack abblättern lassen.Vor dem Eingang des Waggons zögerte Benjamin und lauschte, aber die Stille im Tunnel blieb absolut.Nichts regte sich in der Finsternis.Plötzlich fielen ihm Abigales Worte ein.Etwas ist dort unten, hatte sie gesagt.Benjamin betrat den Waggon und sah sofort die beiden Gestalten auf der hinteren Sitzbank.Sie saßen eng umschlungen in der Ecke, trugen Jeans und dicke Jacken.Benjamin stand im Gang zwischen den Sitzen, leuchtete mit der Lampe und sagte: »Hallo?«Die beiden Gestalten rührten sich nicht.Reglos saßen sie da und gaben keinen Ton von sich.Als Benjamin näher kam, sah er, dass es Puppen waren, wie man sie in Schaufenstern verwendete.Jemand hatte ihnen Kleidung übergestreift und sie wie ein sich umarmendes Liebespaar in den Waggon gesetzt.Der Unbekannte hatte sich sogar die Mühe gemacht, ihnen individuelle Gesichter aufzumalen und den Augenpaaren Tränen zu geben – die beiden Puppen weinten.Benjamin betrachtete sie eine Zeit lang, hörte in Gedanken die traurigen Klänge der Geige und fühlte sich gerührt, obwohl diese beiden Gestalten weder Herz noch Seele hatten.Dann verließ er den Waggon und dachte daran, dass Petrow und seine Expedition hier vorbeigekommen waren.Sicher hatten sie die beiden Puppen bemerkt, sie aber im Waggon sitzen lassen.Wer hatte sie dorthin gesetzt? Einige der ersten Menschen, die es vor vielen Jahren in dieser Stadt gegeben hatte und die dann verschwunden waren? Und wer hatte ihre Gesichter bemalt, ihnen Tränen verpasst? Benjamin ging zum nahen Bahnsteig, und dabei lag ein Schatten auf ihm, den die Lampe in seiner Hand nicht vertreiben konnte.Er war kalt wie der Schatten, den die grauen Wolken kurz vor seinem Tod auf Leib und Seele geworfen hatten, und von fremder Trauer durchdrungen, und plötzlich begriff er, dass die Liebenden im Waggon – die einzigen wahren Toten in dieser Stadt im Jenseits – ein Symbol waren für die Leere und Hoffnungslosigkeit in den Seelen der hier lebenden Menschen.Er hatte es bei Louise gespürt: einen Kummer mit tiefen Wurzeln in ihrem Denken und Fühlen, und auch in Velazquez, eine Hoffnungslosigkeit, die in Opportunismus und Zynismus Ausdruck fand; er hatte sich mit dem Leben in der Gemeinschaft arrangiert, obwohl er es alles andere als ideal fand, und flüchtete sich in seine Malerei.Trauer und Leere verschonten auch Hannibal und Dago nicht, die beiden großen Kontrahenten in der Stadt.Hannibal versteckte sie hinter den Regeln einer neuen Quasireligion, mit denen er versuchte, der neuen Welt, in der er sich befand – und in deren Mittelpunkt er sich sah –, einen Sinn zu geben.Dago hingegen hatte sich in Wahnsinn geflüchtet, in die Rolle eines Desperados, in der er sich wohlzufühlen schien.Jeder von ihnen versuchte auf seine Art und Weise, Kontrolle auszuüben, auf das eigene Leben und das der anderen Menschen
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