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.– Er meinte, Ihr Großvater war der erste Mensch, der auf dem Jüdischen Friedhof hier in Kenosha beerdigt wurde.– (Vor 1919 hatten die Juden in Kenosha keinen eigenen Friedhof, sondern mussten ihre Lieben in Chicago oder Milwaukee beerdigen lassen.) Mit diesem Wissen hatte ich keine Mühe, die Grabstelle Ihres Großvaters zu finden.– Und ich konnte das genaue Datum rauskriegen.Alles andere steht auf den Kopien, die ich Ihnen mitschicke.–Ich bitte nur darum, lassen Sie Ihren Vater nichts von dem erfahren, was ich Ihnen hier mitteile – er soll nicht noch mehr Kummer bekommen, als er bereits gelitten hat …Ich hoffe, das bringt ein wenig Licht in die Handlungsweise Ihres Vaters während der letzten Jahre.Herzlichste Grüße an Sie beide –Ken & FranDie Zeitungsartikel liegen auf meinem Schreibtisch.Jetzt, da es so weit ist, darüber zu schreiben, stelle ich zu meiner Überraschung fest, dass ich alles tue, um die Sache hinauszuschieben.Den ganzen Vormittag habe ich gezögert.Ich habe den Müll zur Mülltonne gebracht.Ich habe fast eine Stunde lang mit Daniel im Hof gespielt.Ich habe die Zeitung gelesen – komplett, bis hin zu den Ergebnissen der Baseball-Frühjahrstrainingsspiele.Selbst jetzt noch, während ich über meinen Widerwillen gegen das Schreiben schreibe, bin ich unerträglich ruhelos: Alle paar Worte springe ich von meinem Stuhl, gehe auf und ab, höre zu, wie der Wind die losen Regenrinnen ans Haus klappern lässt.Die kleinsten Kleinigkeiten können mich ablenken.Nicht dass ich mich vor der Wahrheit fürchte.Ich fürchte mich nicht einmal davor, sie auszusprechen.Meine Großmutter hat meinen Großvater ermordet.Genau sechzig Jahre bevor mein Vater starb, am 23.Januar 1919, hat seine Mutter in der Küche ihres Hauses an der Fremont Avenue in Kenosha, Wisconsin, seinen Vater erschossen.Die Tatsachen selbst beunruhigen mich nicht mehr, als man erwarten könnte.Schwer fällt lediglich, sie gedruckt – gewissermaßen dem Reich der Geheimnisse entrissen und zu einem öffentlichen Ereignis gemacht – zu sehen.Es sind über zwanzig, meist ausführliche Artikel, alle aus der Kenosha Evening News.Selbst in diesem kaum noch lesbaren Zustand, fast unkenntlich vor Alter und Kopiefehlern, können sie einen noch schockieren.Ich nehme an, die Artikel sind typisch für den Journalismus jener Tage, aber das nimmt ihnen nichts von ihrer reißerischen Aufmachung.Sie stellen eine Mischung aus Skandalsucht und Rührseligkeit dar, noch gesteigert durch die Tatsache, dass die Beteiligten Juden waren – fast definitionsgemäß also sonderbare Leute –, was dem Ganzen einen anzüglichen, herablassenden Tonfall verleiht.Doch bei allen stilistischen Mängeln scheinen die Tatsachen festzustehen.Dass sie alles erklären, glaube ich nicht, aber zweifellos erklären sie eine ganze Menge.Ein Junge kann dergleichen nicht durchleben, ohne als Mann davon beeinflusst zu sein.An den Rändern dieser Artikel kann ich einige der kleineren Nachrichten jener Zeit gerade noch entziffern, Ereignisse, die von dem Mordfall praktisch zu Belanglosigkeiten degradiert wurden.Zum Beispiel: die Bergung der Leiche Rosa Luxemburgs aus dem Landwehrkanal.Zum Beispiel: die Versailler Friedenskonferenz.Und Weiteres, wie es sich Tag für Tag ergab: der Fall Eugene Debs; eine Notiz zu Carusos erstem Film («Die Szenen … sollen äußerst dramatisch sein und sehr ans Herz gehen»); Kampfberichte vom russischen Bürgerkrieg; die Beerdigung von Karl Liebknecht und einunddreißig anderen Spartakisten («An der fünf Meilen langen Prozession beteiligten sich über fünfzigtausend Personen.Volle zwanzig Prozent von ihnen trugen Kränze.Niemand schrie oder jubelte»); die Ratifizierung des nationalen Prohibitionsgesetzes («William Jennings Bryan – der Mann, der Grapefruitsaft berühmt gemacht hat – stand mit breitem Lächeln dabei»); der von den Wobblies angeführte Textilarbeiterstreik in Lawrence, Massachusetts; der Tod von Emiliano Zapata, «Banditenführer in Südmexiko»; Winston Churchill; Bela Kun; Premier Lenine (sic); Woodrow Wilson; Dempsey gegen Willard.Ich habe die Artikel über den Mord ein Dutzend Mal gelesen.Aber noch immer fällt es mir schwer zu glauben, dass ich sie nicht bloß erträumt habe.Mit der ganzen Gewalt von Bildern aus dem Unbewussten scheinen sie bedrohlich vor mir auf und verzerren die Wirklichkeit so, wie Träume es tun.Die dicken Schlagzeilen, die diesen Mord verkünden, lassen alles andere, was an diesem Tag auf der Welt passierte, ganz winzig erscheinen und verleihen damit dem Vorfall die gleiche egozentrische Bedeutung, die wir etwelchen Ereignissen in unserem Privatleben zumessen.Das ist so ähnlich wie mit der Zeichnung, die ein Kind anfertigt, wenn es von irgendeiner unaussprechlichen Angst gequält wird: Das Wichtigste ist immer das Größte
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