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.Neugeborene wurden nach der Hausnummer genannt, nach Geburtsdatum, Gewicht oder nach dem Alter des Vaters.Menschen wurden der Mund zugenagelt, weil man sie ertappt hatte, wie sie die Lippen im Gebet bewegten.Alle Küchengeräte aus Messing, Bronze und Kupfer wurden beschlagnahmt.Die Rotgardisten zerschlugen sogar die Blumentöpfe; künftig sollten die Tibeter keine Blumen mehr begießen, sondern sich statt dessen dem Studium der hehren Worte Mao Tse-Tungs widmen.Wer das rote Buch nicht ständig bei sich trug und zitieren konnte, wurde verhaftet.Aber ich will zu deiner und meiner Geschichte zurückkehren.Da gibt es ein Ereignis, das ich vergessen hatte.Hör zu: Ich weiß nicht genau, in welchem Jahr es war.Jedenfalls trieb ich mich in Lhasa herum.Der kollektive Wahnsinn hatte seinen Höhepunkt erreicht, Sabotage gehörte zur Tagesordnung.Da ich auf der »goldenen Brücke zum Sozialismus« nicht ausrutschen wollte, hatte ich mein Haar geschoren, steckte in dem einheitlichen blauen Anzug und trug Maos erbauliche Fibel in der Brusttasche.Ich hörte Geschrei.Schmährufe und das Prasseln von Steinen.Ich ging um eine Ecke und sah, wie einige Rotgardisten einen Mann steinigten.Sonst war niemand auf der Straße, alle hatten das Weite gesucht.Der Mann kauerte an einer Wand und schützte den Kopf mit den Armen.In seinem Haar klebte Blut.Solche Szenen erlebte ich zur Genüge; diese fand ich besonders abstoßend.Der Mann hatte zwei kleine Töchter.Die Rotgardisten drückten den Kindern Steine in die Hand 359und verlangten, daß sie ihren Vater steinigten.Die Mädchen schrien und weigerten sich.Sie mochten nicht älter als vier Jahre sein.Die Bande war so beschäftigt, daß sie mich nicht kommen sah.Aber das Krachen eines Faustschlags auf dem Kopf eines Menschen ist zu hören, so gut auch die Technik sein mag.Die anderen wirbelten herum, als ihr Genosse zu Boden ging.Einer hob sein Gewehr, doch ich war schneller und schlug ihm ein paar Zähne aus.Ich riß das Gewehr an mich, schmetterte dem nächsten den Kolben über den Schädel.Ich betätigte nicht den Abzug; ihre Gleichgesinnten plünderten in der Nebenstraße; ein Schuß würde sie anziehen wie Bluthunde.Auch mit dem Kolben ließ sich gut arbeiten; eine Minute später hatte ich zwei Karabiner erbeutet.Die Rotgardisten lagen bewußtlos auf der Erde oder erbrachen Blut.Kein schöner Anblick für Kinder, aber vermutlich würden sie noch mehr blutende Menschen im Staub liegen sehen, ehe sie erwachsen wurden.Ich sagte: »Weg von hier! « und half dem Mann auf die Beine.Er war blaß, hatte Blutergüsse an der Stirn.Die kleinen Mädchen hielten sich schluchzend an ihm fest.So kamen wir nicht vorwärts.Ich warf dem Mann ein Gewehr zu, hob beide Mädchen hoch, jedes auf einen Arm.Wir rannten los, aber nicht schnell genug.Der Mann taumelte und hielt sich den Kopf, und ich mußte auf die Kleinen achten.Hinter uns näherte sich Lärm mit einer Geschwindigkeit, die mich ängstigte.Einer der verletzten Rotgardisten hatte Alarm geschlagen.Ich sah eine angelehnte Tür, die zu einem Innenhof führte.Solche Höfe hatten manchmal Dachtreppen, wie damals unsere Häuser in Lithang.Ich stieß die Tür auf.Im Hof häufte sich Schutt.Das geplünderte Haus war unbewohnt.Eine steile Treppe führte nach oben.Wir hatten die Chance eines Kaninchens in einem Gebüsch voller Füchse, aber es gab keine Wahl.Ich stellte die Kinder auf den Boden und sagte: »Hier hinauf! « Sie kletterten mühelos empor, während ich dem Vater half.Oben warfen wir uns flach auf den Bauch.Ich prüfte das Magazin und hielt das Gewehr im Anschlag.Die kleinen Mädchen gaben keinen Laut von sich; das Gebrüll auf der Straße sprengte uns beinahe die Ohren.Einige bange Minuten vergingen.Von der Straße drang noch immer der Lärm, doch jetzt aus größerer Entfernung.Ich ging vorsichtig die Treppe hinunter und spähte durch die Tür.Auf der Straße wirbelte der Staub, doch es war alles ruhig.Die Rotgardisten hatten ihre Verletzten fortgeschafft.Ich winkte mit dem Karabiner.Der Vater und die Kinder stolperten die Treppe herunter.Ich nahm dem Mann das Gewehr ab; er konnte 360nichts damit anfangen.Er blickte mich an, steif und hilflos.Stockend erzählte er mir, daß die Rotgardisten die Kinder mit einer Süßigkeit angelockt hatten.Die kleinen Mädchen hatten »bitte« und »danke«gesagt, was verboten war, und ihren Vater somit als Reaktionär entlarvt.»Die Rotgardisten drohten mir, die Kinder wegzunehmen, weil ich sie im alten Denken erziehe.«Er wischte sich den Staub aus den geröteten Augen.»Ich danke Ihnen«, setzte er bewegt hinzu.»Ein gefährliches Wort heutzutage«, brummte ich.»Sie sollten es lieber vergessen.«Wir tauschen ein unfrohes Lächeln.Seine Stirn war blau angeschwollen.Er starrte mich unentwegt an.Mir fielen seine Augen mit den sehr großen, etwas verschwommenen Pupille auf.»Wer sind sie?« fragte er.»Nur ein Reiter«, entgegnete ich.Er nickte, er hatte verstanden.Ich sagte:»Gehen Sie, schnell! Und es wird besser sein, wenn Sie sich eine Zeitlang nicht in der Stadt blicken lassen.«Die beiden Kinder klammerten sich an die Hände des Vaters.Sie sahen einander so ähnlich, daß man sie kaum unterscheiden konnte.Ich lächelte sie an.»Es war gut, daß ihr euch gewehrt habt.Das, was man von euch verlangte, war schlecht.Ihr müßt eure Eltern lieben, niemals die Partei.«Sie nickten beide gleichzeitig, mit großen, verwirrten Augen.Ich öffnete die Tür einen Spalt breit und gab dem Mann ein Zeichen.Unsere Blicke trafen sich; er flüsterte einen Segenspruch und schlüpfte mit den Kindern an mir vorbei.Die Mädchen drehten sich immer wieder nach mir um.Ich hielt den Finger am Abzug.Erst als sie außer Sichtweite waren, versteckte ich die Karabiner hinter einem Balken.In der Nacht würde ich kommen, um sie zu holen.Ich hatte dem Vater und seinen Kinder geholfen.Aber die Sache war ohne Bedeutung für mich, und eine Stunde später hatte ich sie vergessen.Und wie steht es mit dir, Tara? Erinnerst du dich jetzt?«Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen.Atans Schilderung weckte verschütterte Empfindungen in mir; längs vergessene Bilder gelangten zurück in mein Bewußtsein.Ich hörte Geschrei, sah drohende Gesichter; konfuse Erinnerungen, von denen ich zunächst nicht wußte, hatte ich sie erlebt oder erträumt.361Ich rieb mir die Schultern.»Ja, ich entsinne mich.Aber nur ganz schwach.Irgendwie weiß ich noch, daß Chodonla und ich ganz entsetzliche Angst hatten.Man hat uns in ein zerstörtes Haus getragen.Wir mußten eine Treppe hinaufklettern, und Vaters Gesicht blutete.«Ich starrte ihn fassungslos an.»Wie kommt es nur, daß ich dich nicht erkannte habe?«Er zeigte ein flüchtiges Grinsen.»Wie solltest du? Ich war als Maoist verkleidet! «Ich lächelte auch, aber nur halbherzig.»Ich bin ziemlich durcheinander, entschuldige.«Irgendein Instinkt in mir hatte ihn sofort erkannt.Seine Erscheinung im Lager hatte ein merkwürdiges Gefühl in mir ausgelöst, einen leichten Schwindel, als habe sich mein Puls plötzlich beschleunigt.Er war mir vertraut gewesen wie ein Freund aus der Kindheit, wie irgendeine Bekanntschaft aus längst vergangenen Zeiten.Er hatte seine Rolle gespielt in meinem Leben.Es war Atans Bild, das mein Vater noch immer in seinen Augen trug.»Mein Vater hat dich niemals vergessen« sagte ich.»Ich denke auch, daß dieser Vorfall ihn veranlaßt hat, Tibet zu verlassen.Vater war nie ein tatkräftiger Mann, nicht im geringsten praktisch veranlagt.Meine Mutter regte sich darüber auf.Sie sagte immer, auf Tashi ist kein Verlaß.«»Dein Vater ist ein Träumer.«Atan wiederholte die Worte, die er Tage zuvor gesagte hatte.Ich seufzte.»Vielleicht warst du der Mann, der er sein wollte.Ein Idealbild, verstehst du? Es ist eigentlich unglaublich! Er hat dich ständig gesucht und dich irgendwann gefunden.«Er nickte ruhig
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