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.Die Deutschen legten viel Wert auf Äußerlichkeiten und Korrektheit, das wusste sie.Allerdings missfiel es ihr, sich von einem Neuankömmling anschnauzen zu lassen.Sie hatte ihre Marke11 und ihre Arbeitskarte und damit die Berechtigung, außerhalb des Konzentrationslagers leben zu dürfen.Zudem stand sie unter dem Schutz der Rheinischen Missionsgesellschaft.»Ich bin berechtigt, im Lager nach Waisen Ausschau zu halten, Herr Soldat«, erwiderte sie in freundlichem Tonfall und in ihrem guten, wenn auch nicht akzentfreien Deutsch.»Um hier hereinzudürfen, und vor allem auch wieder hinaus, brauchst du ein Berechtigungsschreiben«, mischte sich der zweite Wachhabende ein und musterte sie mit nicht zu übersehendem Interesse.Udako senkte den Kopf.Philippe Meindorff hatte ihr oft genug gesagt, dass sie eine Schönheit sei.In dieser frauenarmen Gegend zog sie Männerblicke an wie das Licht die Moskitos.»Ich habe eine Bescheinigung von Oberstleutnant von Estorff.« Udako faltete das Papier auseinander und reichte es dem vor ihr stehenden Soldaten der Deutschen Schutztruppe.Sie wartete, bis dieser das Dokument im Beisein seines Kollegen gelesen hatte.Von Estorff hatte es persönlich unterzeichnet, mit der Bitte an sie, sich möglichst täglich nach den Kindern im Lager umzusehen.Er war es auch gewesen, der die schrecklichen Umstände und die dramatische Lage der Gefangenen nach Deutschland gemeldet hatte, nachdem seine erste Amtshandlung – als er 1907 Deimlings Nachfolger geworden war – ihn in das Konzentrationslager auf der Haifischinsel führte.Noch am selben Tag war sein Telegramm über die unhaltbaren Zustände beim Oberkommando der Schutztruppen in Berlin eingetroffen.Berlin reagierte schockiert auf die Kurzmitteilung, die von Tod, Krankheit und Verderben sprach.Der Leiter der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes, Bernhard Dernburg, bekam erst durch dieses ehrliche, ungeschminkte Telegramm Kenntnis von den tatsächlichen Zuständen auf der Haifischinsel.Er forderte nicht nur einen detaillierten Bericht an, sondern stimmte auch den von von Estorff unverzüglich in die Wege geleiteten Maßnahmen zu, wie die Verlegung wenigstens der Frauen und Kinder in ein anderes, humaner geführtes Lager.Diesem Akt der Menschlichkeit verdankte auch Udako ihr Leben.Sie war eine der 573 Überlebenden von 1795 Gefangenen, die von der Insel ins Landesinnere verlegt wurden, wobei selbst dort noch viele an den Folgen der üblen Haftbedingungen oder an Ruhr und Typhus starben.Ihre Intelligenz und die Tatsache, dass sie früher hin und wieder für die Eroberer gearbeitet hatte, ersparten ihr schließlich einen weiteren Aufenthalt in anderen Konzentrationslagern, wie auch die entbehrungsreiche und ebenfalls oft todbringende Zwangsarbeit im Straßen-, Wege- und Bahnbau.»Wird wohl in Ordnung sein, das Papier …« Die Soldaten sahen sich unschlüssig und überfordert an.»Ich bin fast jeden Tag im Lager.Die Soldaten, die schon länger hier stationiert sind, kennen mich.« Udako trat von einem Bein auf das andere.Besorgte Ungeduld breitete sich in ihr aus, da sie beim Anblick der acht frischen Gräber mit einer ganzen Anzahl neu hinzugekommener Waisen rechnete.»Also gut.Aber ich hoffe doch, du bereitest uns keinen Ärger!«»Nein, bestimmt nicht, Herr Gefreiter.«Die Nama beeilte sich, von dem umfriedeten Eingangsbereich fortzukommen, und hastete in die erste Reihe zwischen die Pontok-Hütten.Selbst die aus starken Zweigen, Erde und Stroh errichteten Behausungen strahlten die Wärme der Sonne ab, die unbeeindruckt von der nahenden Regenwand am Himmel thronte.Alte Männer in ihren Umhängen und mit Strohhüten auf den ergrauten Locken saßen vor den halbrunden Hütteneingängen, während aus ihrem Inneren Kindergeschrei und Frauenstimmen herausdrangen.Udako eilte zur dritten Reihe und fand dort, wie meistens, die alte Ana.Unter einem farbenfrohen Tuch, das sie sich um den Kopf geschlungen hatte, spiegelte ihr faltiges Gesicht die Höhen und Tiefen ihres Lebens wider, und aus ihren dunklen Augen, von hängenden Lidern halb verdeckt, sprach eine in Anbetracht ihrer Situation eigentümliche Gelassenheit.»Gut, dass du kommst.« Anas Stimme war leise und klang rau, als habe sie sich über die langen Jahre ihres Lebens abgenutzt, doch ihre Worte waren wohl gewählt, wollte sie diese doch nicht mit Nebensächlichkeiten vergeuden.»Ein Waisenkind?«»Du kennst ihn.Der Herero, der nicht spricht.Seine Tante ist gestern gestorben.«Es war abzusehen, dass die Frau, die den verstörten Jungen bei sich aufgenommen und schon bei ihrer Ankunft in Windhuk unter ausgeprägtem Skorbut gelitten hatte, der wieder neu grassierenden Ruhr nichts entgegensetzen konnte.»Wo ist er?«»Dort, wo sie wohnten.«»Ich danke dir, Ana.«Die Greisin nickte und wandte sich wieder ihren Glasperlen zu.Ihren zitternden Händen zum Trotz beherrschte sie das Aufziehen winzigster Schmuckperlen auf ein Halsband meisterhaft.Im Weitergehen grüßte Udako links und rechts, wobei manches Augenpaar sie verfolgte, dessen Blick nicht von Freundlichkeit geprägt war.Die Inhaftierten kannten sie und ihre Bemühungen, den Kindern des Lagers zu helfen, aber genauso wussten sie um ihre Stellung als ehemalige Bedienstete im Gouvernements-Haus.Sie war jung, gesund und dank ihrer Arbeitskarte nicht an diesen trostlosen und demütigenden Ort gefesselt, der den Insassen nicht nur die Freiheit, sondern auch die Sicherheit des Stammesgefüges nahm.Kaum einer von ihnen ahnte jedoch, dass Udako auf der Haifischinsel in einem noch weitaus schlimmeren Lager als diesem dahinvegetiert war und dort Bruder und Mutter verloren hatte.Ihr Vater war bereits während der kriegerischen Aufstände gestorben.Lange Zeit hatte Udako mit Aufruhr und Hass in ihrem Herzen gelebt und sich damit beinahe zerstört.Erstaunlicherweise erfuhren die ihr grausam in die Seele geschlagenen Wunden ausgerechnet von den Menschen Heilung, die sie ihr zugefügt hatten – die weißen Eindringlinge.Doch dieser Vorgang lief im Verborgenen ihres Herzens ab, ebenso wie ihre Liebe zu einem deutschen Offizier ihr gut gehütetes Geheimnis blieb.Die junge Frau trat vor die niedrige Türöffnung einer Rundhütte und legte beide Hände auf die vom letzten Regen noch feuchte oberste Schicht des Strohdaches, ehe sie sich prüfend umblickte
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